11. April 2024
Hurra! Endlich habe ich meinen Endgegner unter den Posamentenknopftechniken bezwungen: den Gorl. Dabei handelt es sich um eine kordelartige Verzierung, die nicht etwa aufgenäht, sondern während der Arbeit am Knopf aus Garn gedreht wird – eine ziemlich knifflige Angelegenheit, aber das Ergebnis lohnt die Mühe reichlich.
Meine ersten beiden Gorlknöpfe habe ich 2016 fürs Knopfmacher-Zertifikat mehr schlecht als recht zusammengefriemelt und bin Monika Hoede, der Trachtenberaterin des Bezirks Schwaben, noch heute dankbar, dass sie diese eher stümperhaften Versuche akzeptiert hat. Es folgten einige weitere Versuche und etwas bessere Ergebnisse, aber so recht zufrieden war ich mit meinen Gorlknöpfen nie, und das fuchst mich jetzt seit Jahren.
Mit großem Interesse bestaune ich seit jeher in unserer Facebook-Gruppe „Knöpfe“ die Fotos, wann immer Jürgen Sturma, Trachtenspezialist und Stadtheimatpfleger in Minden/Westfalen, Beispiele seiner perfekten Repliken historischer Gorlknöpfe aus dem Minden-Schaumburger Land zeigt, von denen er schon mal 36 Stück für einen Mantel (plus ein paar Probeknöpfe vorab) anfertigt. Er hat die Gorltechnik über zwei Jahrzehnte hinweg perfektioniert und ist in meinen Augen der ungekrönte „King of Gorl“, auch wenn er selbst augenzwinkernd behauptet, „allenfalls Herzog“ zu sein. Als Monika Hoede vergangenes Jahr ankündigte, ihn als Referenten zur 7. Trachtenwerkwoche nach Babenhausen einzuladen, sah ich meine Chance gekommen, die leidige Wissenslücke endlich zu schließen.
So kam ich diesmal nicht wie in den vergangenen Jahren als Dozentin, sondern diesmal als wissbegierige Teilnehmerin in die Jugendbildungs- und Begegnungsstätte Babenhausen und hatte neben meinen Holzrohlingen einen ganzen Korb voller Garne im Gepäck, die ich sonst selten verwende: Perlgarn Nr. 8, das ich üblicherweise für Bäumchenknöpfe einsetze, und dünne Baumwollhäkelgarne der Stärken 20 und 30. Außerdem mit dabei: ein Kästchen Birnenbleie mit Wirbel aus meinem Angelkoffer. Auf diese Weise kommt zumindest ein Teil meiner Angelausrüstung doch endlich auch wieder zum Einsatz, wenn ich mir schon allenfalls einen einzigen Tag am Wasser pro Jahr freischaufeln kann.
Jürgen Sturma, der 600 km weit angereist war, kam jeden Tag in einer anderen exquisiten Weste mit aufwendigen Knöpfen in den Kursraum und hatte weitere ungewöhnliche Werkzeuge mitgebracht: Zahnsonden. Sie ersetzen bei ihm die geflochtene Kordel, die Knopfmacher einst auf der Rückseite des Knopfes angenäht haben, um damit den Knopf zu drehen, sodass sich der Gorlfaden gleichmäßig um den Arbeitsfaden, die „Seele“, legt. Das Bleigewicht auf dem Gorlfaden verhindert dabei, dass das Garn zu schnell und ohne Widerstand abläuft. Wie schwer es sein musste, fand ich durch Experimentieren mit verschiedenen Gewichten heraus und landete schließlich bei einem kleinen Blei von weniger als zehn Gramm.
Wir sieben Teilnehmerinnen hatten anfangs unsere liebe Mühe, die Sonde immer an ihrem Platz zu halten und mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand die Wicklungen sauber zusammenzuschieben, aber mit der Zeit lernten wir das Hilfsmittel schätzen. Alle Knöpfe, mit denen wir uns im Laufe der Woche beschäftigten, basieren auf dem klassischen Sternknopf, unterscheiden sich aber in der Art der Hilfsstrukturen, an denen die Gorlstege fixiert werden.
Bei unserem ersten Übungsprojekt, dem Isenstedter Knopf mit einer relativ bescheidenen Gorlverzierung, gerieten viele Gorlstrecken noch krumm und schief, aber nach und nach fand jede von uns zu ihrem Arbeitsrhythmus, zum richtigen Abstand zwischen dem Garnknäuel, den wir in einer Schale tanzen ließen, und zum (mehr oder weniger) perfekten Winkel zwischen Arbeits- und Gorlfaden.
Dass ausgerechnet die altvertraute Umrandung mit Languettenstichen mich vor neue Probleme stellen würde, hatte ich nicht erwartet: Jürgen Sturma arbeitet eine erste Runde aus sehr dichten Languettenstichen um den Hilfsfaden, sticht in der zweiten Runde nur noch in jede zweite Schlinge ein und zieht die Umrandung anschließend bereits auf die Rückseite, wo er sie in einer selbst entwickelten Methode dekorativ und fest annäht. Bei seinen Knöpfen sieht das großartig aus, bei meinen wirkte die Umrandung löchrig wie ein altes Fischernetz, sodass ich zu meiner langwierigeren Methode mehrerer Languettenrunden zurückkehrte.
Die Herausforderungen im Kurs nahmen von Tag zu Tag zu: Beim Friller Knopf galt es zum Beispiel, statt der doppelten Gorlstege beim Isenstedter nun kleine Rosen oder Bäckchen aus vier kurzen Gorlstrecken zu arbeiten, an denen ich bisher immer gescheitert war. Nun gelangen mir die Röschen fast mühelos, sodass ich vor lauter Begeisterung gleich mehrere Friller nacheinander produzierte.
Den Lindhorster Knopf gibt es gleich zweimal: in einer kleinen und einer großen Variante, beide ohne Einfassung, aber mit besonders üppiger Gorlverzierung. Beim kleinen Lindhorster mit seinem doppelten Stern aus Gorlstegen und über die Kante herabgezogenen Spitzen besteht die größte Schwierigkeit darin, die richtige Reihenfolge beim Gorlen einzuhalten, ähnlich wie beim berühmten „Haus vom Nikolaus“, bei dem man ja auch nicht erst die komplette Außenkontur schließen darf, weil man sonst die Linien im Inneren nicht mehr in einem Zug zeichnen kann. Manchmal mussten wir ein bisschen schummeln, aber am Ende hatten wir alle den Bogen raus. Außerdem waren wir geradezu zum Naschen von Schoko-Ostereiern gezwungen, um Material für die glitzernden Folienspiegel im Zentrum zu gewinnen.
Den großen Lindhorster Rockknopf hatte Jürgen Sturma für den krönenden Abschluss vorgesehen. Hätten wir in seinem Handout gleich am Anfang bis dorthin weitergeblättert, wäre uns vermutlich angesichts dreireihiger Gorlstege schwindlig geworden. Doch nach einigen Tagen Übung erschien uns die Aufgabe lösbar. Lediglich die Wickelstiche um die Hilfsstruktur-Fäden im Zentrum waren ein wenig kompliziert, weil sich die Fäden ständig übereinanderschoben. Schließlich gelangen uns einige recht ansehnliche Exemplare. Hier seht ihr meine beiden Werkstücke:
Am Ende der Woche hatte ich mein Gorl-Trauma definitiv überwunden und mich in einen regelrechten Rausch gegorlt, sodass ich mir noch vor dem Feierabendbier am letzten Abend eine besondere Aufgabe stellte: Weil mir Jürgens elegante, rein schwarze Gorlknöpfe besonders gut gefallen, fertigte ich je einen Isenstedter und einen Friller aus Seiden- und Baumwollgarn in Schwarz an. Den Rest muss die Übung bringen!
Bei der abschließenden Werkschau am Sonntagvormittag trug jede von uns Kursteilnehmerinnen gleich mehrere gelungene Gorlknöpfe zu unserer gemeinsamen Präsentation bei, die Jürgen durch seine Exponate ergänzte. Er beantwortete auch mehr als eine Stunde lang alle Fragen aus den anderen Kursen zur Knopfmacherei im Allgemeinen und zur Gorltechnik und den Knöpfen aus dem Minden-Schaumburger Land im Besonderen.
Selbstverständlich wurde während der Trachtenwerkwoche nicht ausschließlich in den Werkgruppen gearbeitet, die bei Gertrud Agricola-Straßer Mieder, bei Margit Hummel Röhrlhosen oder einen schmalen Rock und bei Ute Palmer-Wagner Gollerblusen und geknöpfte Oberteile nähten. Zwischendurch hatten wir die Gelegenheit, zusammen mit Thea Baur Stoffe oder fertige Tischdecken mit wunderschönen alten Modeln zu bedrucken.
Am Schnuppernachmittag entschied ich mich unter verschiedenen Angeboten für den Rüschenkurs bei Gertrud Agricola-Straßer, wo ich endlich die Rosenrüsche, die Dachrüsche und – mit mäßigem Erfolg – die Herzrüsche in der Praxis kennenlernte, die mir beim Lektorat des Rüschenbuches der Trachtenkultur-Beratung bereits begegnet waren. Währenddessen wickelte Jürgen mit seiner Schnuppertruppe Pfeilspitzenknöpfe und Knöpfe auf sternförmigen Rohlingen.
Ein abendlicher Ausflug führte uns nach Stoffenried, wo Kreisheimatpflegerin Bärbel Mettenleiter-Strobel uns durch die Museumsgebäude der Kreisheimatstube führte und uns unterhaltsam und kundig allerlei über die einstigen Lebensverhältnisse auf dem Lande erzählte. Vor der Rückfahrt nach Babenhausen durften wir dann noch das hausgebraute Bier probieren.
Die Tage nach der Trachtenwerkwoche sind im Flug vergangen, denn in meinem Redaktionsbüro war über die Kurstage einiges an Arbeit liegen geblieben, und am kommenden Wochenende steht schon das nächste Knopf-Event an: die Knopfmachertage der Trachtenkultur-Beratung des Bezirks Schwaben im Landauer-Haus in Krumbach, bei denen ich einen Tag lang Sticktechniken für Knöpfe im viktorianischen Stil zeigen darf. An den beiden anderen Tagen freue ich mich darauf, von Sandra-Janine Müller und Monika Hoede zu lernen.
Eine Überraschung gab es am Montag: Durch den Anruf einer Frau aus Niederbayern erfuhr ich, dass das Bayerische Fernsehen am Nachmittag in „Wir in Bayern“ die „Homestory“ aus der Knopfwerkstatt wiederholt hatte, die Julia Seidl vor zwei Jahren in Violau gedreht hat. Wer den Beitrag damals versäumt hat oder noch einmal sehen will, hat jetzt hier in der Mediathek die Gelegenheit dazu (ca. ab Minute 31:30):