Köln steht seit Jahrzehnten alljährlich im Frühjahr auf meinem Reiseplan: Dann nämlich findet dort die h+h cologne, die größte internationale Fachmesse für Handarbeit und Hobby, statt, bei der ich als Redakteurin für Textilthemen Kolleginnen und Kollegen, Ansprechpartnerinnen bei Firmen und Auftraggeberinnen bei Verlagen treffe. Corona hat diese Routine abrupt unterbrochen: Für 2020 hatte ich schon die Zugfahrten und das Hotel gebucht, als die Messe pandemiebedingt abgesagt wurde. Nach drei Jahren Messepause kam ich nun also zum ersten Mal wieder an den Rhein und freute mich nicht nur darauf, viele Bekannte wiederzusehen, sondern war auch gespannt auf die Woolinale, das 1. Internationale Yarnbombing Festival, im Rahmen der Messe.
Ich wurde nicht enttäuscht: Elke Hahn (Gassenmaschen) und ihr Woolinale-Team hatten Exponate von Textilkünstlerinnen und -künstlern aus aller Welt zu einer beeindruckenden Ausstellung am und im Südeingang der Koelnmesse arrangiert. Dort konnten übrigens alle Interessierten sich die überwiegend gestrickten und gehäkelten Werke ansehen, während die Messe selbst Fachbesucherinnen und -besuchern vorbehalten war. (Allen, denen der Zutritt verwehrt blieb, sei zum Trost gesagt: Anders als bei Verbrauchermessen wie der Creative in Dortmund und der Nadelwelt in Karlsruhe oder Friedrichshafen gibt es auf der h+h cologne fast nichts zu kaufen. Dort werden Kontakte geknüpft und gepflegt, Neuheiten präsentiert und vor allem Bestellungen aufgegeben.)
Wer vom Bahnhof Deutz aus die Treppen zur Messe hinaufstieg, wurde bereits auf dem Vorplatz von fantasievoll umhäkelten und umstrickten Masten empfangen: Laternengeistern von der Maschengilde, „A Rose to Hug“ von Yarn Vandalette Gaby Schreyer, einem Feenbaum von Flinkenadel Alena Becker und den monochrom in Beige und Wollweiß gearbeiteten „Corals“ von Marianne Seimann, um nur einige zu nennen.
Hunderte individuell mit Garn und Nadeln gestalteter Peace-Symbole an einem Bauzaun links neben dem Eingang richteten einen eindringlichen Friedensappell an die internationalen Gäste der Messe.
Gegenüber, auf der rechten Seite des Eingangs lud der Selfie-Schmetterling der Yarn Gang aus vielen hundert Granny-Squares zum Fotografieren ein:
Was sich alles aus Strick- und Häkelmaschen kreieren lässt, war dann in der Eingangshalle zu bestaunen. Lebensgroß gehäkelte Vögel, eine Gruppe von Kängurus im Lace-Look („Mel’s Mob“ von Nini & Wink), Mitmachaktionen wie der „Weg zum Frieden“ von Annett Neßmann, das riesige Diorama „Kölsche Korallen“, witzige Textilskulpturen und politische Statements …
Besonders gefreut habe ich mich, endlich Elke Hahn kennenzulernen, die ich schon zu filzfun-Zeiten für ein Interview über ihre Ausstellung gehäkelter Schriftsteller in diversen öffentlichen Büchereien hatte gewinnen wollen. (Leider hat sich damals keine der beteiligten Bibliotheken auf meine Mails hin gemeldet.) Zusammen mit Heike Unger und David Wasser bildete sie in Köln das Woolinale-Team, das gut gelaunt Auskunft gab und die Aufmerksamkeit für die Yarnbombing-Ausstellung verdientermaßen genoss.
Es war nicht ganz einfach, mich von der Ausstellung im Foyer loszureißen, aber schließlich war ich nach Köln gereist, um Menschen zu treffen, mit denen mich die gemeinsame Liebe zu Handarbeit, Stoffen, Garn und Nadeln, aber auch zu Zeitschriften und Büchern zu textilen Themen verbindet.
Zuallererst führte mich mein Weg zum Stand von MEZ zu Stefanie Biendel, mit der zusammen ich vor fast dreißig Jahren das allererste Buch zum Thema Sockenstricken auf dem deutschen Markt bei Augustus im Weltbild Verlag herausgebracht habe. Seither haben wir einander nie aus den Augen verloren und viele Projekte gemeinsam gestemmt. Bei ihr gab es ein Wiedersehen mit Lutz Staacke von Maleknitting und Kerstin Gruber von Landherzen, mit denen zusammen ich vor Jahren auf Einladung von Schachenmayr bei einem Workshop im tim Augsburg Wolle gefärbt habe. Außerdem gab’s ein kurzes, aber herzliches Hallo mit Arne und Carlos, deren Bücher ich für den frechverlag lektoriert habe.
Der Versuch, die Messehallen mit System zu durchwandern, um auch wirklich alles zu sehen, scheitert bei mir spätestens nach dem zweiten Gang, weil ich dann regelmäßig die Orientierung verliere oder unterwegs zu einem Gespräch stehenbleibe und anschließend nicht mehr weiß, in welcher Richtung ich weitergehen wollte. Aber wie ein Staubsaugerroboter, der scheinbar wirr durchs Zimmer surrt und am Ende doch (hoffentlich) jede Stelle des Bodens mindestens einmal gesaugt hat, habe ich in zwei Tagen alle Stände gesehen, alle vereinbarten Termine wahrgenommen (auch wenn mir der Kölner Nahverkehr am zweiten Morgen durch Ausfälle und Verspätungen fast einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte) und mir eine Fülle an Neuheiten zeigen lassen. Sensationen waren zwar nicht dabei, aber einige hübsche und nützliche Hilfsmittel wie ein zierlicher Silberring bei addi zum Führen der Fäden beim Jacquardstricken, der den Finger aber auch ohne Garn schmückt, oder ein Tool zum leichten Einsetzen von Ösen und Druckknöpfen bei Prym.
Auf meinen erratischen Wegen über die drei Ebenen der Halle 11 bin ich auch immer wieder am etwa zehn Meter langen Yarnbombing-Fries vorbeigekommen, an dem David Wasser vom Woolinale-Team neben seinem zauberhaften roten Strickkraken Rede und Antwort stand.
Die Woolinale-Crew hatte vor der bunten Wand einen umstrickten Rahmen bereitgelegt, der während der gesamten Messetage unentwegt für Fotos im Einsatz war. Irgendwann konnte ich der Versuchung auch nicht mehr widerstehen und ließ mich von Heike Unger damit fotografieren.
Als festen Termin hatte ich mir schließlich noch den Anstrick für den TahitiKAL bei Schachenmayr eingetragen: Frau Feinmotorik Julia Hegenbart hat wie schon dreimal vorher ein Tuch aus dem Baumwoll-Mischgarn Tahiti entworfen, das in einem Mystery-Knit-along (KAL) über mehrere Wochen gestrickt wird. Den ersten Teil der Anleitung und den ersten Knäuel Garn gab’s um zwölf Uhr Mittag am Stand. Die Stricknadeln sollte jede und jeder selbst mitbringen – und ich hatte meine morgens im Hotel liegenlassen. 🤦🏻♀️ Zum Glück hatten die Mitarbeiterinnen bei addi Nadeln ein Herz und überließen mir eine Rundstricknadel – sogar eine aus der neuen Unicorn-Serie mit einhornartig gedrehten Nadelspitzen und rosafarbenem Seil. 🦄 So konnte ich zusammen mit einer ganzen Schar von Fachhändlerinnen, Bloggerinnen und Redakteurinnen den Garter-Tab-Anschlag und die ersten Reihen des Tuchs „Maluhia“ stricken, das wiederum einen Bogen zur Peace-Wand der Woolinale schlägt: „Maluhia“ heißt auf Hawaiianisch „Frieden“, wie Schachenmayr auf der Website für den TahitiKAL erklärt.
Am Abend machte ich mich von der Innenstadt dann noch einmal im strömenden Regen auf zur „schäl Sick“ nach Deutz, wo die Kölner Oper während der Bauarbeiten am Opernhaus im Staatenhaus residiert. Dort wurde zum letzten Mal die Oper „Luisa Miller“ von Giuseppe Verdi in der Inszenierung von Christoph Loy für das Glyndebourne Festival gezeigt. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich von dieser Oper, die auf Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“ basiert, meiner Lebtag noch nichts gehört hatte. Was bin ich froh, noch eine Karte für die Dernière ergattert zu haben! So habe ich einen Abend mit wunderbarer Musik (Dirigent: Roberto Rizzi Brignoli) und berührendem Spiel erlebt. Die Oper „Luisa Miller“ werde ich auf jeden Fall nicht vergessen.
Zu meiner Überraschung und Freude hat am Sonntag dann auch die Heimfahrt reibungslos geklappt. (Auf der Hinfahrt hatte der Zug schon in Ulm gut eine halbe Stunde Verspätung. Bis Köln wurden dann 70 Minuten draus, unter anderem, weil zwischendurch eine Scheibe neu verklebt werden musste.) Die Fahrtzeit hat gereicht, um den ersten Teil des Maluhia-Tuchs fertigzustricken. Jetzt heißt es warten, bis Teil zwei in einer Woche veröffentlicht wird.