Viktorianische Variationen

Eine spannende und ereignisreiche Trachtenwerkwoche liegt hinter mir und wird sicher noch eine ganze Weile nachklingen. Nachdem ich im vergangenen Jahr einer Gruppe die Grundlagen der Posamenten- und Zwirnknopfmacherei beibringen durfte, hatte sich Monika Hoede, die Trachtenberaterin des Bezirks Schwaben, diesmal ein ganz besonderes Thema gewünscht: Posamentenknöpfe im viktorianischen Stil, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Mode waren. (Einige Originale kann man online an Kostümen aus dem Fundus des Metropolitan Museum of Art, New York, bewundern.)

Blüte und Stern, Empire, Snowflake und Pinwheel: Die Posamentenknöpfe im viktorianischen Stil waren Thema meines fünftägigen Workshops bei der Trachtenwerkwoche.

Bei dieser Art textiler Knöpfe wird über einem mit Stoff oder Garn bezogenen Rohling ein speichenartiges Grundgerüst aus Fäden, die sogenannte Tortenschnürung, gespannt und kunstvoll bestickt. Je nach Art der Stickerei entstehen Blüte oder Stern, Empire, Snowflake oder Pinwheel, wie die englische Knopfmacherin Gina Barrett die unterschiedlichen Muster in ihrem Buch Buttons – A Passementerie Workshop Manual (Lincolnshire 2013) nennt. Sie hat übrigens eine ganze Reihe interessanter Originale auf Pinterest zusammengetragen.

Über viele Wochen hinweg habe ich mich in dieses interessante Thema vertieft, Musterknöpfe angefertigt, Schritt-für-Schritt-Fotos aufgenommen, Anleitungsblätter und eine Powerpoint-Präsentation erarbeitet und war dann ziemlich enttäuscht, dass der Kurs im Februar wegen geringer Anmeldezahlen auf der Kippe stand. Umso schöner, dass schließlich ein knopfbegeistertes Quartett zusammenkam, das mit mir die Möglichkeiten der historischen Techniken erkundete.

Mit Stoff oder Garn bezogene Holzrohlinge dienen als Grundlage für viktorianische Knöpfe. Nicht historisch korrekt, aber interessant zu bearbeiten sind außerdem Abschnitte von Filzkugeln.

Womöglich wähnte sich meine Gruppe gleich zu Beginn auf dem falschen Dampfer, denn statt Holzrohlingen und Garn gab es erst einmal Vlies- und Kammzugwolle, warmes Wasser in Schüsseln, Seife, Handtücher und genoppte Silikontopflappen. Wir filzten tischtennisballgroße Kugeln, aus denen wir später kuppelförmige Rohlinge schneiden wollten. Und weil die Filzkugeln einige Tage zum Trocknen brauchen, mussten wir sie möglichst früh herstellen.

Anschließend umwickelten wir Holzrohlinge mit Baumwollsticktwist oder überzogen sie mit Stoff. Was für ein Glück, dass in den anderen Workshops genäht wurde! So bekamen wir zusätzlich zu den von mir mitgebrachten Patchworkstoffen wundervolle Reste von Jacquardgeweben, Seiden-, Samt- und sogar Tweedstoffen, mit denen wir experimentieren konnten. Da wurden winzige Rohlinge mit feiner Seide umhüllt und Kreise aus grobem Tweed um Holzkuppeln mit 5 cm Durchmesser gespannt. Jedes neue Stückchen Stoff, das aus einem der anderen Räume in unsere Knopfwerkstatt wanderte, inspirierte uns, sodass am Ende jede und jeder von uns mindestens ein halbes Dutzend vorbereitete Rohlinge vor sich liegen hatte.

Work in progress: Hier entstehen Blütenknöpfe im viktorianischen Stil – und jeder wirkt anders.

An Blüte und Stern erkundeten wir tags darauf die unterschiedliche Wirkung von Rückstichen und Stielstichen in Runden, widmeten uns an den folgenden Tagen der dekorativen Randgestaltung am Empire- und Snowflake-Knopf und schlossen schließlich mit dem Windrad- oder Pinwheel-Knopf ab, bei dem durch geschicktes Sticken ein spitzenartiges Muster auf der Grundlage aus Stoff oder Garn entsteht. Besonders gefreut und beeindruckt haben mich dabei die Fantasie und die Kreativität, mit der die drei Frauen und der Mann in meinem Kurs Stiche und Gestaltungsmöglichkeiten kombinierten oder neue Varianten erfanden. Als wir die Ergebnisse der Kurswoche für das Abschlussfoto arrangierten, staunten wir selbst über die Vielfalt an unterschiedlichen Knöpfen.

Kaum zu glauben, dass eine der Teilnehmerinnen sich noch nie zuvor mit dem Thema Posamentenknöpfe beschäftigt hatte! Ihr gelangen von Anfang an ebenso schöne und kunstvolle Werke wie allen anderen, und in einer Pause holte sie mal eben mit mir die Grundlagen für Sternknopf und Glatten Knopf nach. Chapeau!

Wie schon im vergangenen Jahr war es wunderbar, ein Thema über mehrere Tage hinweg zu entwickeln und dabei – anders als bei Tages- oder Abendkursen – auch die Muße für eigene Gestaltungsvarianten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu haben. Ein großer Luxus, den ich sehr zu schätzen weiß!

Einige Dutzend fantasievoll gestalteter Knöpfe im viktorianischen Stil kamen in der Trachtenwerkwoche zusammen – und zusätzlich einige Harlekinknöpfe aus den Schnupperkursen.

Immer wieder wurden wir durch zusätzliche Angebote aus unseren Workshop-Räumen gelockt, zum Beispiel bei der Stoff- und Garn-Tauschbörse, bei der allerlei Schätze aus den Schränken und Nähstuben der Teilnehmerinnen ans Licht kamen: altes Leinen, Zählstoffe und Stickbänder aus einem aufgelassenen Handarbeitsladen, überzählige Strickgarnknäuel, Bänder, Borten, Knöpfe, historische Nadelmäppchen und Skurrilitäten wie alte Bügeleisen, die sich hervorragend als Gewichte beim Nähen eignen, und eine Pelzstola aus Urgroßmutters Zeiten. Gut eine Stunde lang wurde gesichtet, getauscht und gefeilscht, bis viele der Raritäten eine neue Besitzerin gefunden hatten.

Stoffe, Bänder, Borten, Garne und allerlei Skurriles wie diese historischen Bügeleisen wechselten bei der Tauschbörse die Besitzerinnen.

Am Donnerstagnachmittag und -abend hatten die Teilnehmerinnen aller Workshops die Gelegenheit, in andere Bereiche hineinzuschnuppern. Bei Maria Tyroller wurden Ringtaschen als edle Alternative zur Plastiktüte geschneidert, Monika Hoede zeigte, wie dekorative Schachteln aus Graupappe nach Vorbildern aus dem 19. Jahrhundert genäht werden, Ute Palmer-Wagner erklärte das Sticken von sogenannten Flohfenstern, und ich lud zum Gestalten von Harlekinknöpfen ein.

Harlekinknöpfe, mal knallbunt, mal dezent Ton in Ton, wurden in den beiden Schnupperkursen gewickelt und gewebt.

Zehn Teilnehmerinnen in zwei Gruppen ließen sich auf das Knopf-Abenteuer ein und kreierten sechseckige Knöpfe mit Rhombenmuster – manche in den typischen Harlekinfarben Gelb, Rot, Blau und Grün oder anderen stark kontrastierenden Farbkombinationen, manche in Blau- und Grüntönen mit leuchtend kontrastierenden Rasterlinien in Orange oder zurückhaltend Ton in Ton.

Ein abendlicher Ausflug führte uns alle ins rund 15 Kilometer entfernte Krumbach zum Landauer-Haus, dem Sitz der Trachtenkultur-Beratung des Bezirks Schwaben. Dort informierte uns der Historiker Alexander Smit, wissenschaftlicher Volontär der Einrichtung, über die Geschichte des traditionsreichen Hauses, das einst der Familie jüdischer Geschäftsleute gehört hatte, und führte durch die Knopfausstellung mit historischen Originalen und modernen Interpretationen der alten Knöpfe .

Der Historiker Alexander Smit, wissenschaftlicher Volontär der Trachtenkultur-Beratung, führte die Teilnehmerinnen der Trachtenwerkwoche durch die Räume des Landauer-Hauses und zeigte unter anderem die dort ausgestellten Mustertrachten.
Der Knopftisch verbindet meine beiden Berufe: Der alte Setzkasten aus einer Druckerei steht für das Redaktionsbüro, die Knöpfe darin kommen aus der Knopfwerkstatt. Foto: Georg Drexel

Dort gab es auch ein Wiedersehen mit meinem Knopftisch, der schon einige Jahre mit der Ausstellung gewandert ist und nun dauerhaft seinen Platz bei der Trachtenkultur-Beratung gefunden hat, was mich sehr freut.

1 Kugel = 2 viktorianische Knöpfe: Die Filzkugel habe ich wie zwei halbkugelförmige Filzrohlinge mit Blütenmotiven und Snowflake-Borte bestickt.

Während des anschließenden Gedankenaustauschs bei Getränken und Gebäck habe ich eine Idee umgesetzt, die mir am Nachmittag durch den Kopf geschossen war: Wenn man zwei Filzhalbkugeln als Knopfrohlinge verwenden kann, müsste doch eine vollständige Kugel ebenfalls mit einer Tortenschnürung versehen und im viktorianischen Stil bestickt werden können. Also verpasste ich einer Kugel einen provisorischen „Äquator“ aus Garn, überspannte sie mit einer Tortenschnürung und stickte erst zwei Snowflake-Borten ober- und unterhalb der Äquatorlinie und anschließend je eine doppelte Blüte auf die Pole – einmal im Rück- und einmal im Stielstich, bevor ich den Hilfsfaden für den „Äquator“ wieder entfernte. Das Ergebnis ermutigt mich, an diesem Experiment weiterzuarbeiten.

Auch ein anderes Projekt reizt mich schon lange: das sogenannte Strunz- oder Schnorrtäschchen, wie es Monika Hoede schon vor Jahren für unser gemeinsames (und inzwischen leider längst vergriffenes) Buch „Die ganze Welt der Knöpfe“ angefertigt und beschrieben hat. Sie schreibt dazu: „Strunztäschchen dienen als zusätzliche Tasche zur Eingrifftasche im Rock. Die Strunztäschchen wurden unter der Schürze umgebunden; ihre individuelle Schönheit verbarg sich also im Alltag. […] Ein Strunztäschchen mag Taschentücher, Geld und kleine Habseligkeiten enthalten; für den Kirchgang Klingelbeutelgeld und ein Sträußchen zum Dran-Riechen und Wachhalten; für den Besuch bei der Freundin ein Strickzeug als Ausrede, damit man nicht dem Müßiggang verfiel. Die mir aus Hessen und Franken bekannten Taschen kenne ich als Schnorrtaschen; das steht für Müßiggang und hat nichts mit dem Schnorren im Sinne von Betteln […] zu tun.“

Dieses Strunztäschchen hat Monika Hoede aus einer Stickerei von Trudel Hoede angefertigt.

Inzwischen gestaltet Monika Hoede gern als Erinnerung an eine bestimmte Zeit Strunztäschchen, die sie mit allerlei Elementen aus eben dieser Lebensphase versieht. Die Tasche, die während der Trachtenwerkwoche in Babenhausen entstand, ist unter anderem mit Schneckenknöpfen von den Knopfmachertagen vor einigen Wochen und mit einem bunten Harlekinknopf verziert.

Dieses reich mit Bändern, Borten, Quasten und Knöpfen verzierte Strunztäschchen erinnert Monika Hoede an das Frühjahr 2023.

Die Idee fasziniert mich. Und weil ich während der Trachtenwerkwoche einige Stoffreste in hinreißenden Blaugrüntönen geschenkt bekommen oder gegen Knöpfe eingetauscht habe, liegt das Material für mein Strunztäschchen schon bereit. Jetzt fehlt nur noch die Zeit.

Aus diesen zauberhaften Stoffen könnte mein Strunztäschchen entstehen.

Apropos Zeit: Auch wenn am Beginn der Trachtenwerkwoche der Abschied in weiter Ferne zu liegen schien, verflogen die Tage im Nu. Trotzdem habe ich in einer Mittagspause einen kleinen Spaziergang ins Städtchen geschafft und die sehr sehenswerte Pfarrkirche St. Andreas mit einem ungewöhnlichen Kreuzweg-Treppenhaus besucht.

Das Fuggerschloss und die Pfarrkirche St. Andreas prägen die Innenstadt von Babenhausen.

Bei einem gemeinsamen Frühstück im Café Rosa haben wir einander schließlich am Sonntagvormittag gegenseitig die Werke der Woche präsentiert und endlich auch die Spenzer, Röcke und Leibchen als Ganzes gesehen, mit deren Stoffresten wir unsere Knopfrohlinge überzogen hatten. An manch einem der Modelle hat zu unserer Freude auch einer der viktorianischen Knöpfe Platz gefunden.

Bevor wir alle die Heimreise antraten, hat Monika Hoede uns verraten, dass die Planung für die nächste Trachtenwerkwoche schon läuft: Sie wird wieder mit mehreren Workshops in der Woche nach Ostern vom 2. bis zum 7. April 2024 stattfinden. Es lohnt sich, die Tage schon jetzt im neuen Kalender zu blocken und im Urlaubskalender einzutragen!

Mit einem üppigen Frühstück im Café Rosa endete die Trachtenwerkwoche am Sonntag.