Die Knopfwerkstatt auf Zeitreise ins Mittelalter

Die Knopfwerkstatt im Schatten des Lichtenberger Bergfrieds.

Manchmal ist es kaum zu glauben, wie abwechslungsreich und bisweilen sogar abenteuerlich die Arbeit in der Knopfwerkstatt ist. Im Januar erreichte mich eine Mail von den Burgfreunden Lichtenberg mit der Einladung zum Mittelaltermarkt im Rahmen des Burgfestes Anfang September: „Mittelalterlicher Stand wäre Voraussetzung. Könnten wir dir aber stellen … Viele Grüße, Stefan“.

Kurz gegoogelt: Lichtenberg – nein, nicht der gleichnamige Stadtteil Berlins, sondern eine der kleinsten Städte Deutschlands und zweitkleinste Stadt Bayerns, liegt in Oberfranken im Landkreis Hof an der Grenze zu Thüringen. Nun, für jemanden, der in Violau mit rund 120 Einwohnern lebt, erscheint Lichtenberg mit knapp zehnmal so vielen Einwohnern fast schon wie eine Großstadt.

Die Knopfwerkstatt war zwar schon auf diversen Kunsthandwerker- und Trachtenmärkten zu Gast, aber noch nie bei einem Mittelaltermarkt. Freilich haben die sogenannten umsponnenen Knöpfe, also die Posamentenknöpfe, und die Zwirnknöpfe nur bei äußerst großzügiger Auslegung etwas mit dem Mittelalter zu tun, aber die Gelegenheit, mein immerhin einige Jahrhunderte altes Handwerk beim Lichtenberger Burgfest zu präsentieren, war äußerst verlockend. Mein (fränkischer!) Mann Franz und ich überlegten nicht lang, sagten zu und bekamen im Frühjahr alle Informationen und den Vertrag für Marktkaufleute.

Was aber trägt man bei einem Mittelaltermarkt? Ganz sicher nicht meine geliebten grauen Knopfwerkstatt-Polohemden mit aufgesticktem Logo. In unseren Kleiderschränken fand sich nichts, was auch nur annähernd als mittelalterlich durchgehen konnte. Also stöberte ich online bei Ritterladen.de und erstand Rock, Leibchen, Bluse und Haube für mich und eine braune Bundhose für Franz. Die Haube schmückte ich mit drei Zwirnknöpfen als Markenzeichen.

Um den Stand mussten wir uns zum Glück keine Gedanken machen, freuten wir uns. Stoffe könnten uns zur Verfügung gestellt werden hatte Stefan Eckardt, der Vorsitzende der Burgfreunde geschrieben – wunderbar! Fehlte nur noch ein stilvolles Schild für den Stand. Ich erinnerte mich an die legendäre 680-Jahr-Feier unseres Nachbardorfes Unterschöneberg im Jahr 2007, für die ganze Lastwagenladungen von Schwartenbrettern zu Schildern, Ständen und zum Verkleiden von Abfallkörben verarbeitet worden waren. Aber ein neues Brett aus dem Sägewerk in der Nähe kam uns zu wenig malerisch vor. Die Lösung fand sich auf einem Altholzstapel unseres Freundes Martin, der gerade ein ruinöses Haus auf einem Baugrundstück abriss: ein pittoresk verwitterter Fensterladen in ausgeblichenem Grün mit zwei rostigen Scharnieren als perfekten Aufhängern für das künftige Schild, auf dem „Knopfmacherey“ stehen sollte, denn jedes Kind weiß ja, dass bei mittelalterlichem Tanderadey Endungen auf ei mit y geschrieben werden müssen. So will es das Gesetz! 😅

Vom Laden zum Ladenschild: Aus einem alten, verwitterten Fensterladen wurde das Schild für die Knopfmacherey.

Am Computer (also höchst unmittelalterlich 🙈) setzte ich das Wort in einigermaßen historisch anmutenden Lettern, vergrößerte es am Kopierer und übertrug es mit Kohlepapier (zum Glück hatte unser Nachbar Josef noch welches) auf den grob abgebürsteten Fensterladen. Dann malte ich die Buchstaben mit Acrylfarbe in fast schwarzem Petrol aus – fertig!

Mit unserem Zafira voller Kisten, einigen Metern Rupfen und anderen Stoffen für den Stand, unserer mittelalterlichen Gewandung und Hunderten von Knöpfen machten wir uns schließlich am Tag vor dem Festwochenende auf den Weg in den Frankenwald. Vor dem Lichtenberger Rathaus wurden wir von Kerstin Eckardt sehr freundlich empfangen und von Max aus dem Organisationsteam zum Burgplatz begleitet, wo schon Dutzende anderer Marktkaufleute ihre Stände aufbauten: eindrucksvolle Pavillons und Zelte aus Holz und naturfarbener Leinwand mit Spannseilen aus Hanf und dekorativen Wimpelketten oder Zinnenbehängen an der Front. Als wir unseren eigenen Stand sahen, wurde uns klar, dass wir hätten ausführlicher kommunizieren sollen: Der war bis dahin nämlich nur ein Gestell aus Bodenleisten, vier Eckstützen und einigen Dachsparren. Wir hatten schlichtweg keine Ahnung vom Auf und Zu bei einem Mittelaltermarkt gehabt und nicht gewusst, dass wir hätten Planen und Tische mitbringen sollen. In meiner Einfalt hatte ich vor meinem geistigen Auge eine Art Christkindlmarkt-Bude vor mir gesehen und nicht weiter nachgefragt. Wieder was gelernt!

Aber das ungeheuer freundliche und hilfsbereite Burgfreunde-Team stand uns sofort zur Seite. Günther, der uns am nächsten Tag in der Kutte der Bibamus-Mönche wiederbegegnen sollte, schleppte zusammen mit Franz einen riesigen Ballen Möbelstoff herbei, der zu meiner Freude auch noch knopfwerkstattfarben war. (Etwa die Farbe, die neuerdings als Cadenabbia-Blau bezeichnet wird.) Mit seiner Unterstützung, einer Elektroschere und einem Akkuschrauber zauberten wir gemeinsam innerhalb von einer Stunde einen höchst ansehnlichen Stand mit Seitenwänden und Dach, bevor ein anderer Trupp mit Traktor und Anhänger uns einige Bierzelttische und -bänke anlieferte. Unser unermüdlicher Helfer Günther konnte es sich nicht verkneifen, augenzwinkernd anzumerken: „Jetzt muss ich schon mal blöd fragen: Was habt ihr eigentlich überhaupt dabei?“

Das Knopfmacherey-Schild hängt!

Eine weitere Stunde später war die Bude möbliert, mit Stoffen dekoriert und mit Ware ausgestattet. Das Tüpfelchen auf dem i (oder besser: auf dem y) war unser Knopfmacherey-Schild, das wir mit Sisalstricken an einer der Dachleisten befestigten.

Bereit für den Mittelaltermarkt!

Tags darauf stärkten wir uns beim gemeinsamen Frühstück mit den anderen Marktleuten vor der örtlichen Sporthalle am Burgplatz. Die Burgfreunde sorgten nämlich ausgezeichnet für ihr mittelalterliches Völkchen. Den ganzen Tag über hielt Melli im Gesindekeller Getränke und einen Imbiss für die historische Schar bereit. Bevor das Fest mit Böllerschüssen und einer gereimten Begrüßung offiziell begann, hatte ich Gelegenheit, mich ein bisschen umzuschauen, beispielsweise bei dem jungen Schildmacher und seiner Freundin, die sogar ihr Schlafzelt mit Bausatz-Bett auf dem Markt aufgeschlagen hatten – nicht ohne allerlei Kraftausdrücke, weil sich die Häringe nicht in den steinharten Boden schlagen ließen. Zum Glück half der Schmied, ein paar Stände weiter, mit massiven, handgeschmiedeten Pflöcken aus.

Unsere Standnachbarin Paula aus der Nähe von Prag fertigt hinreißende Hüte aus Kaninchenhaar-Filz an.

Händler, die Edelsteine, Messer aus Damaszenerstahl, Lederartikel, Räucherwerk und Gewürze aus dem Orient oder irdenes Geschirr feilboten, waren ebenso vertreten wie eine Badstube und ein Feldlager. Unsere Standnachbarin Paula aus Tschechien bot sehr schöne Hüte aus Kaninchenhaar-Filz an, und an einem Stand wanden drei bis vier Frauen von früh bis spät zauberhafte Kränze aus Blüten und Zweigen, die dann Köpfe und Buden schmückten.

Den ganzen Tag über, besonders aber bei den täglichen Umzügen der teilnehmenden Gruppen bot sich ein buntes, fröhliches Bild. Auf den beiden Bühnen beim Rathaus und im Schatten des Bergfrieds, aber auch den ganzen Marktplatz hinauf bis zur Burg unterhielten Musikgruppen wie die Amici Musicae Antiquae, Musica Vagantium, Arcus und Irregang die Besucher, die Ritterschaft Equitatus Monocerotis und der Schwarzenberger Ritterorden lieferten sich viel bejubelte Schaukämpfe, und hinter dem Turm gab das Puppentheater Knuth mehrmals täglich Vorstellungen. Zwischendurch zogen die Bibamus-Mönche (Nomen est Omen!) singend an unserem Stand vorbei, ein Kamel stattete uns einen Kurzbesuch ab, und sechs historisch gewandete junge Trommler präsentierten quasi mittelalterliche Sambarhythmen. Hier ein paar optische und akustische Impressionen der beiden Tage:

Sambarhythmen? Nein, hier wird mittelalterlich getrommelt.
Die Amici Musicae Antiquae waren eine der Musikgruppen, die das Volk beim 21. Burgfest zu Lichtenberg unterhielten.

Zwirn- und Posamentenknöpfe hatte bis dato kaum jemand gekannt, der an unserem Stand vorbeikam. Deshalb schauten mir viele der Besucherinnen und Besucher bei der Arbeit über die Schulter, und einige von ihnen nahmen sich sogar eine gute Stunde Zeit, um mit mir zusammen ihren ersten Sternknopf zu wickeln. Einer davon fand sofort seinen Platz am historischen Gewand.

Ein selbst gefertigter Sternknopf ziert das Gewand einer Burgfreundin.

Mit von der Partie war natürlich auch mein Alter Ego, die kleine Knopfmacherin Helene, die mit ihrem Outfit perfekt ins mittelalterliche Ambiente passte. Die Nadelfilz-Figur ist ein Werk der deutsch-amerikanischen Künstlerin Silke Sordyl und begleitet mich zu vielen Kursen und Märkten, wo sie immer sehr bewundert wird. Natürlich hat sie stets ihre Knopfmacherinnen-Ausrüstung dabei: Mini-Rohlinge, Garnröllchen, Schere, Nadel und einige winzige Knöpfchen.

Meine kleine Kollegin, die Knopfmacherin Helene, passte mit ihrem Outfit gut ins mittelalterliche Ambiente. Die Nadelfilzfigur ist ein Werk der deutsch-amerikanischen Künstlerin Silke Sordyl aus Illinois.

Am Sonntagabend endete das 21. Burgfest zu Lichtenberg so, wie es tags zuvor begonnen hatte: mit Böllerschüssen. Zugegeben: Finanziell hielt sich der Erfolg der Knopfwerkstatt durchaus in engen Grenzen, aber wir kehrten reich an Eindrücken und Erfahrung zurück. Es war eine Freude, von den sympathischen und hilfsbereiten Burgfreunden unterstützt zu werden und einen Beitrag zu diesem fröhlichen Fest bei Kaiserwetter zu leisten. Auf jeden Fall sind wir für kommende Mittelalterspektakel vorbereitet – nicht nur mit dem passenden Gewand. Jubel, Jubel, Jubel für das Organisationsteam der Burgfreunde Lichtenberg und vielleicht bis zum Mittelaltermarkt im kommenden Jahr!

Inzwischen sind wir wieder im ganz und gar modernen Alltag in Violau angekommen, wo ich die Veranstaltungen der nächsten Zeit vorbereite: Ich freue mich schon darauf, am Wochenende 7./8. Oktober beim Trachtenmarkt in Krumbach dabei zu sein, und in der darauffolgenden Woche geht’s wieder in die Schweiz, wo ich zwei Zwei-Tages-Kurse am Ballenbergzentrum gebe, die erfreulicherweise sehr gut gebucht sind. Alle Termine für die nächsten Wochen und bereits einige fürs neue Jahr findet ihr hier auf der Website. Wer immer auf dem Laufenden bleiben will, kann gern den Newsletter abonnieren. Keine Sorge: Ich werde euch nicht wöchentlich zuspammen, sondern informiere euch etwa alle sechs bis acht Wochen über neue Blogeinträge und anstehende Termine.

3 Antworten auf „Die Knopfwerkstatt auf Zeitreise ins Mittelalter“

  1. Liebe Helene, mit viel Vergnügen las ich deinen Bericht vom Mittelalterspektakulum. Immer im Juni an Peter und Paul bin ich selbst auch im Spätmittelalter (1504) in Bretten unterwegs. Die ganze Familie habe ich auch schon eingekleidet. Deinen Rock gibt es zum Beispiel in rot/schwarz bei uns. Mein Mann bevorzugt die gleiche Bekleidung wie deiner. Ich versuche mich historisch etwas mehr anzunähern (stimmt: keine Knöpfe sondern Nestelbänder), aber eine Wulsthaube lässt einen leider so alt aussehen, wie man ist. Aber Spaß macht’s und wir sind jahrelang beim Umzug mitgelaufen. Tanzen auf dem Kirchplatz bis um 3Uhr früh ist einfach mega, dieses Jahr sogar im Regen. Ja, ein bisschen ist es schon ein Virus….Dir weiter viel Spaß dabei. Lieben Gruß von Gudrun

  2. Es ist faszinierend zu sehen, wie vielfältig und manchmal sogar abenteuerlich die Arbeit in der Knopfwerkstatt sein kann, wie der Bericht über die Vorbereitungen für den Mittelaltermarkt eindrucksvoll zeigt. Besonders beeindruckend ist die Kreativität und Improvisationsfähigkeit, die bei der Gestaltung des Standes und der Präsentation der Knöpfe gefragt war, einschließlich der Verwendung eines alten Fensterladens als Schild. Diese Anekdote verdeutlicht, dass selbst inmitten moderner Vorbereitungen für ein mittelalterliches Ereignis der Charme vergangener Epochen lebendig bleibt.

    1. Herzlichen Dank für diese ausführlichen und netten Zeilen! Ich freue mich sehr, wenn meine Berichte aus der Knopfwerkstatt mit Interesse und Genuss gelesen werden.

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